Multiple Sklerose: Therapeutische Möglichkeiten von Cannabis
14.07.2023
Liebe Leser:innen, in den letzten Jahren hat sich das Interesse an der medizinischen Anwendung von Cannabis erheblich gesteigert. Die Cannabispflanze enthält eine Vielzahl von Inhaltsstoffen, von denen einige vielversprechende therapeutische Eigenschaften aufweisen. Die vielfältigen pharmakologischen Eigenschaften dieser Inhaltsstoffe haben dazu geführt, dass es bei einer Reihe von Erkrankungen und Störungen erforscht und angewendet wird. In dem Artikel „Therapeutische Möglichkeiten von Cannabis: Multiple Sklerose“ stellen wir Ihnen die Erkrankung und die therapeutischen Möglichkeiten von medizinischem Cannabis bei dieser etwas genauer vor.
Was ist Multiple Sklerose?
Multiple Sklerose (MS, auch Encephalomyelitis disseminata genannt) ist die häufigste autoimmun vermittelte chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Sie betrifft das Leben von Millionen von Menschen weltweit, allein in Deutschland sind es etwa 225 000. Bei dieser komplexen Krankheit kommt es zu Schädigung und Verlust der Schutzschicht um die Nervenfasern im Gehirn und Rückenmark. Dies führt zu einer Vielzahl von Symptomen und stellt die Betroffenen vor große Herausforderungen. Obwohl die genaue Ursache von Multipler Sklerose unbekannt ist, haben Fortschritte in der Forschung und der medizinischen Behandlung das Leben von MS-Patienten verbessert.
Die Multiple Sklerose ist eine sogenannte Autoimmunerkrankung (Erkrankungen, die das Immun- oder Abwehrsystem des eigenen Körpers hervorruft). Hierbei greift das Immunsystem irrtümlicherweise das Myelin, also die schützende Hülle um die Nervenfasern an. Dies führt zu Entzündungen und Narbenbildung, auch als Sklerose bezeichnet, die die normale Kommunikation zwischen den Nervenzellen beeinträchtigen. Häufig tritt die Erkrankung zwischen dem 30. Und 40. Lebensjahr in Erscheinung, selten auch im Kindesalter oder nach dem 55. Lebensjahr. Eine Diagnose erfolgt anhand der Symptomatik sowie über MRT-Bildgebung und Laborwerte.
Welche Ursachen gibt es für Multiple Sklerose?
Die Ursachen für Mutiple Sklerose sind trotz intensiver Forschung leider noch nicht genau geklärt. Unter anderen gibt es eine Hypothese, die eine Verbindung der auftretenden Autoimmunreaktion mit einer früheren Infektion durch das Eppstein-Barr-Virus vermutet, welches das Pfeiffersche Drüsenfieber hervorruft. Es könnten auch genetisch bedingte Faktoren eine Rolle spielen, da Kinder beziehungsweise Geschwister von Erkrankten scheinbar ein höheres Risiko für das Auftreten der Multiplen Sklerose aufweisen. Weitere Hypothesen erwähnen andere bakterielle oder virale Infektionen, Übergewicht, Rauchen oder Vitaminmangelzustände als mögliche Einflüsse. Sicher bestätigt ist hiervon allerdings keine.
Welche Symptome treten bei Multipler Sklerose auf?
Die Symptome von Multipler Sklerose können von Person zu Person stark variieren, abhängig von der Lage und dem Ausmaß der betroffenen Nervenfasern. Man kann unterscheiden zwischen schubweisem Auftreten und progredientem, also fortschreitendem Krankheitsverlauf. Am häufigsten ist die schubweise Verlaufsform mit vollständiger oder teilweiser Rückbildung der Symptome innerhalb von Tagen bis Wochen. Diese Form kann in die chronisch-progrediente Form übergehen. Dabei kommt es meist zur Anhäufung dauerhafter Einschränkungen.
Meist beginnen die Auswirkungen schubförmig und mit einzelnen Symptomen. Häufig treten hier erstmal:
- Entzündungen des Sehnervs (oft einseitig) mit z.B. Pupillen- und Sehstörungen, bis zu vorübergehender Erblindung
- Störungen von Empfindungen/Wahrnehmungen (z.B. Kribbeln, Brennen, Taubheit, verminderte Temperaturwahrnehmung)
- Chronische Erschöpfbarkeit (sogenannte Fatigue, die nicht wesentlich durch Schlaf verbessert werden kann)
auf. Es ist aber auch ein langsamer, stetig fortschreitender Verlauf mit oder ohne Schübe möglich. Hierbei nehmen die Behinderungen kontinuierlich zu.
Weitere charakteristische Symptome sind:
- Schmerzen (Kopf, Muskeln, Rücken u.a.)
- Störung motorischer Fähigkeiten (Spastiken, Lähmungen, erhöhte Muskelreflexe)
- Blasen- und Darmstörungen
- Störungen der Sexualfunktionen
- Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
Es kann darüber hinaus unter anderem auch zu depressiven Erscheinungen und Demenz kommen.
Welche Therapieansätze gibt es?
Obwohl es derzeit keine Heilung für MS gibt, können verschiedene Therapien dazu beitragen, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen, Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Durch den Fortschritt der Medizin ist gerade bei frühem Erkennen der Erkrankung ein relativ normales Leben für viele Betroffene möglich. Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören:
- Medikamente: Verschiedene Medikamente können eingesetzt werden, um die Entzündung zu reduzieren, das Immunsystem zu beeinflussen oder spezifische Symptome zu behandeln. Hier gibt es Unterschiede zwischen akuter Schubtherapie und dauerhafter verlaufsmodifizierender Therapie. Auch medizinisches Cannabis findet hierbei Anwendung.
- Physiotherapie: Gezielte Übungen und Therapien können dabei helfen, die Muskelkraft, Koordination und Beweglichkeit zu verbessern.
- Ergotherapie: Diese Therapie zielt darauf ab, die Fähigkeit zur Durchführung von Alltagsaktivitäten zu verbessern und die Unabhängigkeit zu fördern.
- Unterstützende Maßnahmen: Hilfsmittel wie Gehhilfen, Rollstühle oder speziell angepasste Vorrichtungen können den Alltag erleichtern.
- Psychologische Unterstützung: Eine psychologische Betreuung kann dabei helfen, mit den emotionalen Herausforderungen, die mit der Erkrankung einhergehen, umzugehen.
Kann medizinisches Cannabis bei Multipler Sklerose eingesetzt werden?
Ja, im Bereich der begleitenden Therapie von Multipler Sklerose kann auch medizinisches Cannabis eingesetzt werden.
Welche therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis bei Multipler Sklerose gibt es?
Die Multiple Sklerose zählt zu den wenigen Indikationen, für die es ein zugelassenes Fertigarzneimittel mit Cannabinoiden gibt. Darüber hinaus hat die Verwendung von medizinischem Cannabis in Form von Blüten zur Behandlung von Multipler Sklerose in den letzten Jahren eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren, da diese Therapieoption vielversprechend sein kann. Das Hauptziel der medizinischen Cannabisbehandlung bei Multipler Sklerose besteht darin, Symptome wie Muskelsteifheit, Spasmen, Schmerzen und Tremor zu lindern und damit die Lebensqualität der betroffenen Personen zu verbessern. Dabei wird insbesondere die muskelentspannende Wirkung von Tetrahydrocannabinol (THC) genutzt, einer der Hauptwirkstoffe von Cannabis. Neben der muskelentspannenden Wirkung von THC werden auch andere potenzielle Vorteile des medizinischen Cannabis bei Multipler Sklerose diskutiert, wie die mögliche Reduzierung von Schmerzen sowie die Verbesserung des Schlafs. Auch die einhergehende Verbesserung der Mobilität der Betroffenen trägt zu dem angenommenen klinischen Potential bei.
Die Suche nach der optimalen Medikation und Dosierung muss individuell angepasst werden, da nicht jedes Medikament bei jeder:m die gleiche Wirkung zeigt. Es kann daher einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die richtige Balance gefunden ist. Auch gibt es individuelle Unterschiede in der Verträglichkeit, die berücksichtigt werden müssen. Daher sind eine sorgfältige medizinische Überwachung und Beratung unerlässlich, um sicherzustellen, dass die Behandlung den Bedürfnissen der Betroffenen entspricht und potenzielle Risiken minimiert werden.
Einige Patient:innen und Studien berichten, dass der Cannabisgebrauch eine positive Wirkung auf die Symptome hat. Die genauen Wirkungsmechanismen sind noch nicht vollständig verstanden. Gerade Patien:innen, bei denen die bisher gebräuchlichen Therapieoptionen ausgeschöpft sind, könnten von der neuen Möglichkeit profitieren. Es ist wichtig zu betonen, dass die Verwendung von medizinischem Cannabis bei Multiple Sklerose unter ärztlicher Aufsicht und in Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen erfolgen sollte. Die Dosierung und Anwendung müssen individuell angepasst werden, basierend auf den spezifischen Bedürfnissen und Reaktionen der einzelnen Patient:innen.
Welchen Vorteil hat medizinisches Cannabis in Blütenform?
Ein Vorteil von medizinischem Cannabis in Blütenform können die Dosierung und Applikation sein. Das als Fertigarzneimittel erhältliche Sativex Spray muss zum Beispiel unter Einhaltung von vorgegebenen Zeitabständen mehrfach angewendet werden, um auf gewissen Dosierungen zu kommen. Man ist dabei sehr viel mit der Anwendung des Arzneimittels beschäftigt. Dies kann ebenso wie der bittere Geschmack störend sein. Im Gegenzug dazu können Cannabisblüten zum Beispiel mit einem Vaporizer (=Verdampfer) angenehmer und mit handlicherem Dosierschema appliziert werden.
Wie kann man eine Therapie mit medizinischem Cannabis in Anspruch nehmen?
Laut Sozialgesetzbuch darf Cannabis bei einer schwerwiegenden Erkrankung unter gewissen Voraussetzungen verordnet werden. Die Verwendung von medizinischem Cannabis bei Multipler Sklerose erfolgt im Rahmen eines umfassenden Behandlungsplans, der in enger Zusammenarbeit zwischen dem:r behandelnden Arzt:Ärztin und dem:r Patient:in entwickelt wird. Dabei werden individuelle Bedürfnisse und spezifische Symptome berücksichtigt, um eine maßgeschneiderte Therapie zu gewährleisten.
Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die therapeutischen Möglichkeiten von Cannabis bei Multipler Sklerose ein vielversprechender Ansatz sind. Er zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der betroffenen Personen zu verbessern. So kann die Nutzung von medizinischem Cannabis als alternative Therapieoption eine wertvolle Ergänzung zu herkömmlichen Behandlungsansätzen sein.
Es ist wichtig anzumerken, dass weitere Forschung und klinische Studien erforderlich sind, um die Wirksamkeit, Sicherheit und optimale Dosierung von Cannabis für verschiedene Erkrankungen zu bestätigen. Dennoch bieten die bisherigen Erkenntnisse und Erfahrungsberichte von Patient:innen einen Einblick in das Potenzial dieser vielseitigen Pflanze, um das Wohlbefinden von Menschen mit unterschiedlichen gesundheitlichen Herausforderungen zu verbessern.
In folgendem Video finden Sie weitere Informationen zur Multiplen Sklerose:
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Quellen:
https://www.cmaj.ca/content/cmaj/early/2012/05/14/cmaj.110837.full.pdf
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14615106/
https://www.amboss.com/de/wissen/multiple-sklerose
https://www.aerzteblatt.de/archiv/39576/Cannabisbehandlung-bei-multipler-Sklerose